Gespräch mit Dürrenmatt II


«Guten Abend, Herr Dürrenmatt.»

«Grüess di. Bin ich dir wieder erschienen letzte Nacht?»

«Nein, Gott sei Dank nicht.»

«Lass Gott aus dem Spiel.»

«Gern. Ist mir so rausgerutscht. – Ich habe Ihre Zitate fotografiert.»

«Merci.»

«Vielleicht sind Sie mir im Traum erschienen, weil Sie tatsächlich hier gelebt haben. Im Haus gleich nebenan. Im Garten meines Gastgebers, hier vor dem Fenster meiner Ferienwohnung, wurde vor ein paar Jahren ‹Der Richter und sein Henker› aufgeführt. Darum steht auf den Schildern auch ‹Dürrenmatt am Tatort›.»

«Hast du das Buch gelesen?»

«Natürlich. Aber, wie gesagt, vor langer Zeit. Ich glaube, ich würde es jetzt besser verstehen, wenn ich es nochmals läse. Mit dem Tatort vor Augen. Als Sechzehnjährige nimmt man verbissene, alte Männer einer vergangenen Zeit recht weit weg wahr. Und ein Ort wie Lamboing schien damals auf einem anderen Planeten zu sein.»

«Zum Beispiel auf der Venus.»

«Sie treffen ins Schwarze. Mein Lieblingswerk von ihnen, ‹Das Unternehmen der Wega›. Ich habe das Hörspiel grad kürzlich wieder gehört. Immer noch verstörend, aber Kriege, kalte und heisse, gibts ja auch immer noch.»

«Und verbissene, alte Männer wohl auch. Hältst du mich für einen verbissenen, alten Mann?»

«Nein. Auch damals nicht, mit sechzehn.»

«Warum sprichst du erst jetzt mit mir, am Abend?»

«Ich hatte zu tun. Ich bin in den Ferien, da will man etwas erleben.»

«Man erlebt immer etwas, nicht nur in den Ferien.»

«Müssen Sie immer das letzte Wort haben?»

«Ja.»

«Wie im Romulus. Da haben Sie Ihren Gring durchgesetzt mit dem ‹Morgenessen› statt des hochdeutschen Frühstücks. Das hat mir schon als junge Frau Eindruck gemacht. Seither eifere ich Ihnen nach mit den Helvetismen.»

«Dem habe ich eigentlich nichts mehr anzufügen. Das passiert mir nicht oft.»

Der passende Wein zum heutigen Gespräch: Pinot Noir, Clos à l’Abbé, Weinbau Festiguet, 2019.