Gespräch mit Dürrenmatt III

  

«Grüessech. Sagt man hier so.»

«Grüess di.»

«Ich würde ganz rasch Berndeutsch sprechen, wenn ich hier leben würde. Mein Vater redete Berndeutsch, einen Oberaargauer Dialekt. Das geht bei mir ganz gleitig mit dem Sprachwechsel. Als würde man einen Schalter umlegen.»

«Willst du denn hierbleiben?»

«Das ist keine Frage des Willens. Allenfalls des Geldes.»

«Als ich hier lebte, hatte ich auch noch kein Geld. Ich wohnte mit Lotti und Peter bei meiner Schwiegermutter.»

«Scheints.»

«Später dann beim Künstlerpaar Giauque weiter hinten.»

«Eben. Gleich nebenan. Man sagt, es sei eine Künstlerkolonie gewesen hier. Und zu Ihrem hundertsten Geburtstag ist in der Umgebung zwischen Ligerz und Prêles ein Themenweg geplant: «Auf den Spuren von Friedrich Dürrenmatt – ein Universum aus Wort und Farbe».»

«Äuä!»

«Doch. Wegen Corona verzögert sich die Umsetzung ein bisschen. Es wird Herbst werden, bis alles etabliert ist.»

«Was ist Corona?»

«Ein Virus, das die Menschheit seit einem Jahr heimsucht. Es stellt das Leben und die Politik weltweit auf den Kopf. Sie hätten Ihre Freude daran. Als Schriftsteller, Zeitkritiker und Künstler, meine ich. Aber ich will nicht darüber reden. Basta.»

«Warum nicht? Das nimmt mich mehr wunder als der Dialekt deines Vaters.»

«Weil ich Ferien habe.»

«Diese Ausrede hast du gestern schon gebracht.»

«Das ist keine Ausrede, das ist eine Tatsache. Ich übe mich in Dialektik mit Ihnen, da müssen auch Dialekte Platz haben.»

«Du hast schon wieder das letzte Wort.»

Gespräch mit Dürrenmatt II


«Guten Abend, Herr Dürrenmatt.»

«Grüess di. Bin ich dir wieder erschienen letzte Nacht?»

«Nein, Gott sei Dank nicht.»

«Lass Gott aus dem Spiel.»

«Gern. Ist mir so rausgerutscht. – Ich habe Ihre Zitate fotografiert.»

«Merci.»

«Vielleicht sind Sie mir im Traum erschienen, weil Sie tatsächlich hier gelebt haben. Im Haus gleich nebenan. Im Garten meines Gastgebers, hier vor dem Fenster meiner Ferienwohnung, wurde vor ein paar Jahren ‹Der Richter und sein Henker› aufgeführt. Darum steht auf den Schildern auch ‹Dürrenmatt am Tatort›.»

«Hast du das Buch gelesen?»

«Natürlich. Aber, wie gesagt, vor langer Zeit. Ich glaube, ich würde es jetzt besser verstehen, wenn ich es nochmals läse. Mit dem Tatort vor Augen. Als Sechzehnjährige nimmt man verbissene, alte Männer einer vergangenen Zeit recht weit weg wahr. Und ein Ort wie Lamboing schien damals auf einem anderen Planeten zu sein.»

«Zum Beispiel auf der Venus.»

«Sie treffen ins Schwarze. Mein Lieblingswerk von ihnen, ‹Das Unternehmen der Wega›. Ich habe das Hörspiel grad kürzlich wieder gehört. Immer noch verstörend, aber Kriege, kalte und heisse, gibts ja auch immer noch.»

«Und verbissene, alte Männer wohl auch. Hältst du mich für einen verbissenen, alten Mann?»

«Nein. Auch damals nicht, mit sechzehn.»

«Warum sprichst du erst jetzt mit mir, am Abend?»

«Ich hatte zu tun. Ich bin in den Ferien, da will man etwas erleben.»

«Man erlebt immer etwas, nicht nur in den Ferien.»

«Müssen Sie immer das letzte Wort haben?»

«Ja.»

«Wie im Romulus. Da haben Sie Ihren Gring durchgesetzt mit dem ‹Morgenessen› statt des hochdeutschen Frühstücks. Das hat mir schon als junge Frau Eindruck gemacht. Seither eifere ich Ihnen nach mit den Helvetismen.»

«Dem habe ich eigentlich nichts mehr anzufügen. Das passiert mir nicht oft.»

Der passende Wein zum heutigen Gespräch: Pinot Noir, Clos à l’Abbé, Weinbau Festiguet, 2019.

Gespräch mit Dürrenmatt I

«Herr Dürrenmatt, ich habe schlecht geschlafen. Ich habe von Ihnen geträumt.»

«Pardon?»

«Sie sind mir erschienen, Sie haben sich manifestiert. Ich habe Sie gesehen.»

«Aha.»

«Ich bin in Ligerz in den Ferien. Sie sind hier allgegenwärtig. Ihr Geist ist präsent, der regionale Tourismus bedient sich hemmungslos Ihres Charismas.»

«Habe ich denn eines?»

«Auf jeden Fall waren Sie zu Lebzeiten charismatisch. Sagt man. Sie geistern in den Rebbergen herum, ‹Dürrenmatt was here.›»

«Ich habe die Bielerseeweine immer goutiert.»

«Die sind auch wirklich gut. Aber ich habe Ferien und möchte mich erholen. Ihre unstoffliche Präsenz behindert mich dabei.»

«Inwiefern?»

«Ich bitte Sie! Eine schlaflose Nacht mit einem Gespenst ist alles andere als erholsam.»

«Ah ba, ich bin doch kein Gespenst!»

«So empfinde ich es aber. An der Türe zu meiner Ferienwohnung hängt eine rote Affiche mit einem Zitat von Ihnen. Im Garten unten gleich noch eins, damit die Besucherinnen und Besucher des Weingutes, wo ich mich grad aufhalte, auch ja Ihren Geist spüren. Und dann weinselig viel Wein kaufen, weil Sie ja ein gutes Vorbild sind. Als Weintrinker, meine ich.»

«Das ist doch nichts Anrüchiges, sich an eine Persönlichkeit wie mich zu erinnern und dabei einen guten Ligerzer zu trinken.»

«Ja schon, aber mich hält es vom Schlafen ab. Ich denke immer an Sie.»

«Sind es wenigstens gute Zitate, die da hängen?»

«Ich fotografiere sie für Sie, dann können Sie selbst entscheiden. Ein Porträt von Ihnen ist auch drauf. Was wollten Sie eigentlich in meinem Traum?»

«Ich war einfach da. Dein Unterbewusstsein hat mich gefunden, da kann ich nichts dafür.»

«Sie machen es sich einfach. Und duzen tun Sie mich auch.»

«Stört es dich?»

«Nein.»

«Vielleicht ist es ein Zeichen.»

«Wofür?»

«Dass ich wieder einmal Ihre Werke lesen sollte.»

«Was hast du von mir gelesen?»

«Sehr vieles. Aber es ist Jahrzehnte her. Alle Hörspiele. Alle Dramen. Alle Krimis. Für die Stoffe fühlte ich mich noch nicht reif.»

«Und jetzt? Bist du reif dafür?»

«Ich weiss es nicht.»

«Finde es heraus.»